FORUM MAGAZIN: Yoga Serie 3/6

Teil 3: Die Kriegerhaltungen

Egal, ob Sie mit Yoga beginnen möchten oder schon zig Mal angefangen und dann doch wieder aufgehört haben. Diese einfachen Übungen helfen Ihnen, Ihren Körper als Quelle von Kraft wahrzunehmen. Die Idee dahinter: Nur ein geerdeter Mensch kann die Leichtigkeit des Seins erfahren.  

Zum Original Beitrag im FORUM (23/2020)

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Eine regelmäßige Yoga Praxis verspricht einen gesunden Rücken. Warum es dafür eine flexible Wirbelsäule braucht, haben wir im letzten Teil dieser Serie besprochen. Die Wirbelsäule ist die Stütze unseres Körpers. Sie ermöglicht es uns, nach oben zu strecken, nach unten zu verneigen, nach links und rechts zu drehen sowie zur Seite zu neigen. Dabei sind Sie im besten Fall kein Fähnchen im Wind, sondern stehen sicher verwurzelt.

Mit Stabilität und Kraft können die meisten Menschen etwas anfangen. Es sind attraktive Eigenschaften: Wenn die Stürme des Lebens stärker werden, fallen wir nicht so leicht um. Wenn wir geerdet sind, begegnen wir dem Auf und Ab des Lebens mit gesundem Menschenverstand und Vertrauen. Wir bleiben gelassen und zuversichtlich, wenn die Welt Kopf steht. Erdung heißt, mit beiden Beinen fest auf dem Boden zu stehen, ohne dabei unsere geistige Flexibilität zu verlieren. Das heißt, auch andere Meinungen zu tolerieren oder offen für neue Lösungsansätze zu sein. 

Auch im Yoga sind diese Prinzipien wichtig und werden im Unterricht geübt. Standhaltungen sind das erdende physische Fundament der Praxis. Allen voran: Tadasana, der Berg. Dabei stehen Sie aufrecht. Sonst nichts. Im besten Fall stehen Sie wie die Übung heißt. Womöglich schmunzeln Sie über die metaphorische Sprache, doch man verwendet sie im Yoga nicht grundlos. Innere Bildern lösen etwas aus. Der Berg steht für majestätische Erhabenheit. Wenn wir das visualisieren, reagiert der Körper. Im aufrechten Stand spürt man zuerst die Verwurzelung der Füße im Boden – die Voraussetzung dafür, dass sich der Körper nach oben ausdehnen kann – wie ein Berg zum Himmel. 

Eine Haltung soll stabil und leicht zugleich sein

Folgt man sämtlichen Anweisungen des Lehrers für eine majestätische Berghaltung, kann es allerdings passieren, dass der Körper verkrampft. Und das passiert oft. Wir neigen dazu, Muskeln mehr anzuspannen als nötig. Wir merken es selten, nämlich erst bei chronischen Schmerzen. Hinzu kommt eine gewisse gesellschaftliche Konditionierung: Erfolg tritt ein, wenn wir uns außerordentlich bemühen. Es muss anstrengend sein. Mehr Leistung heißt mehr Anerkennung. 

Die Kunst ist es, das richtige Maß der Anstrengung zu finden. Remo Rettinier, ein Experte der Yoga Therapie im deutschsprachigen Raum, sieht den Schlüssel in einem „aufrichtigen und hingebungsvollen Bemühen“. Bei Verbissenheit verkrampfen wir. Zu viel Training lässt die Kraftkurve sinken. Bei fehlender geistiger Beteiligung steigt das Verletzungsrisiko. Es geht immer wieder darum, den eigenen Körper zu spüren, dabei die für sich passende Intensität zu finden, welche dem Atem einen natürlichen Fluss erlaubt. Bei vielen Yoga Schülern heißt das: Tempo und Ehrgeiz raus. 

Das Yoga Sutra ist ein fundamentaler Quelltext, geschrieben von einem indischen Weisen namens Patanjli, vermutlich vor circa 2000 Jahren. Dort heißt es zur körperlichen Übungspraxis: „sthiramsukham sanam“. Ein einziger Satz nur, der alles enthält: Eine Haltung („Asana“) sollte stabil und leicht zugleich zu sein. Welche Haltungen sinnvoll sind, wird dort gar nicht geschrieben. Mit „Asana“ ist hier einfach nur die richtige „Hinsetzung“ gemeint. Die Vielfalt an Positionen kam erst später dazu: Im 20. Jahrhundert als indische Yoga Meister in den Westen gingen und sich nach und nach das moderne Yoga entwickelte – mit einer Fülle an Stilen und oftmals körperorientierten Ansätzen. Dabei darf man nicht vergessen, dass es im Kern der Lehre um einen inneren Zustand geht. Sie erinnern sich an die innere Ruhe aus dem ersten Teil? Wenn wir geerdet sind, stellt sich dieses Gefühl fast automatisch ein. 

 Was können Sie also tun? Beim nächsten Einkauf an der Supermarktkasse denken Sie an den Berg. Wie stehen Sie da? Nehmen Sie Kontakt zu Ihren Füßen auf. Sie sind für einen gesunden Bewegungsapparat außerordentlich wichtig. Die Füße tragen uns tagtäglich und doch schenken wir ihnen wenig Aufmerksamkeit. Eine in Yoga Kreisen verbreitete Erklärung: Die Füße sind schlicht zu weit weg vom dominanten Kopf.

Neben den Füßen lohnt auch die Hinwendung zum Beckenboden. Leider wird diese hoch interessante Muskelschicht in der Regel nur mit Themen wie Geburt oder Inkontinenz in Verbindung gebracht. Dabei spielt der Beckenboden eine entscheidende Rolle, uns kraftvoll auf dem Boden stehen zu lassen und uns sicher und geborgen im eigenen Körper zu fühlen. Auch beim Beckenboden gilt das Maß der richtigen Anstrengung. Kraft alleine genügt nicht, Entspannung und Loslassen ist genauso wichtig. Ein lebendiger und flexibler Beckenboden ist ideal – und ebenso notwendig für eine aufrechte Haltung und einen gesunden Rücken.  

Der Beckenboden gilt als energetische Wurzel in unserem Körper, er ist das Tor zur Kraft der Erde. Was „Erdkraft“ für Sie bedeutet, obliegt Ihrer eigenen Deutung. Yoga lässt hier Spielraum. Es sollte nie als Flucht in geistige Welten missverstanden wird. Wenn wir uns geerdet fühlen, kann das nicht passieren. Wir lernen mithilfe von Yoga, das Beste aus diesem Leben in diesem Körper herauszuholen. Sie erkennen: Ich bin. Ja, das ist ein vollständiger Satz. Es bedarf keiner Ergänzung. Sie spüren Ihre Existenz über Ihren Körper. Sie spüren, dass der Körper atmet und erfreuen sich im besten Fall an diesem Wunder. Das ist die Leichtigkeit des Seins.  


Übung 1: Tiefer Ausfallschritt „Anjaneyasana“ oder Variante des kleinen Krieger 1 (circa 1 Minute halten oder mehrmals üben)

Diese Haltung kräftigt Ihre Beine und den Rücken. Der Psoas Muskel, der durch vieles Sitzen stark verkürzt, wird intensiv gedehnt – ebenso Ihre Oberschenkelvorderseiten. 

Aus dem Vierfußstand bringen Sie den rechten Fuß nach vorne, Ihr Knie positionieren Sie exakt über dem Knöchel. Je weiter der Abstand zwischen hinterem Knie und vorderen Fuß, desto intensiver die Dehnung. Schieben Sie den vorderen rechten Fuße aktiv in den Boden und ziehen Sie den rechten Oberschenkelmuskel in die Hüftpfanne; die linke Hüfte schieben Sie leicht vor. 

Dann heben Sie Ihren Oberkörper und halten die Hände entweder vor dem Herzen oder strecken Sie aktiv neben die Ohren nach oben. Halten Sie Ihre Lendenwirbelsäule aufrecht, dazu ziehen Sie das Steißbein nach unten und den Nabel nach innen Richtung Wirbelsäule. Einige Atemzüge halten, dann die Seite wechseln. 


Übung 2: Krieger 2 „Virabhadrasana II“ (circa 1 Minute halten oder mehrmals üben)

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Der Krieger, auch Held genannt, lässt Sie die eigenhafte heldenhafte Stärke von innen erfahren und fördert Ausdauer, Standfestigkeit und Selbstbewusstsein. Auf körperlicher Ebene stärkt sie Arm-, Bein- und Rückenmuskeln sowie die Füße. 

Sie stehen in einer weiten Grätsche und drehen von dort den vorderen Fuß nach vorne und den hinteren auf 90 Grad. Fersen stehen in einer Linie. Sie strecken das hintere Bein und drücken die Fußaußenkante fest in den Boden. Das vordere Knie beugen Sie in einen rechten Winkel (Knie über Knöchel). Ihr Unterkörper ist fest und stabil. Der Oberkörper ist aufgerichtet, Schultern schweben über den Hüften. Ihr Blick ist mutig nach vorne gerichtet. Sie strecken beide Arme aus und ziehen sie kraftvoll auseinander. Die Schultern bleiben entspannt. Atmen Sie tief und ruhig. Seitenwechsel. Übung 3: Der herabschauende Hund „Adho Mukha Shavasana“ (circa 1 Minute halten oder mehrmals üben) 

Übung 3: Unterstütze Schulterbrücke „Setu Bhanda“ (bis zu 10 Minuten)

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Diese Haltung braucht keine Muskelkraft. Sie dient dem Gefühl von „Loslassen“ und „Getragen-Sein“. Ihre Körpervorderseite wird gedehnt, Ihr Geist beruhigt sich. 

Stellen Sie einen Yoga Block oder mehrere Bücher (mit Decken, damit es bequemer ist) unter Ihr Kreuzbein. Die Füße bleiben aufgestellt. Der Kopf liegt gerade, die Schultern entspannt. Sie dürfen Ihren Körper richtig schwer werden lassen. Ihr Atem fließt ruhig und gleichmäßig. 

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Tipps

·       Zu Beginn kommen Sie einige Momente in eine einfache Sitzhaltung (siehe Teil2). Dabei spüren Sie, wie Ihr Körper sich heute anfühlt und erinnern sich an „glückliche Anstrengung“. 

·       Zum Aufwärmen mobilisieren Sie mit „Katze-Kuh“ ihre Wirbelsäule (siehe Teil 2). 

·       Zwischen den Haltungen können Sie immer wieder in den „Herabschauenden Hund“ üben (siehe Teil 2). Spüren Sie dabei die Erdung über Ihre Hände – im Vergleich zu den Füßen. 





Sinah Müller