FORUM MAGAZIN: Yoga Serie 1/6

Teil 1: Nur nicht verbiegen

Innere Ruhe – das bedeutet für viele, mehr Zeit für sich selbst und weniger Stress auf der Arbeit. Doch das ist leider zu kurz gedacht. Ein wichtiges Element der Yogalehre ist die Selbstverantwortung. Das bedeutet vor allem, sich von äußeren Umständen zu emanzipieren. Der innere Zustand hängt nicht vom äußeren ab.

 

Zum Original Beitrag im FORUM (19/2020)

Beitrag als Pdf

Kennen Sie das? Sie haben endlich einen Tag frei, doch es funktioniert einfach nicht mit der Entspannung. In Gedanken sind Sie schon wieder auf der Arbeit, die Kinder sind krank und die Einladung zum Essen können Sie schlecht absagen. Sie wollten spazieren gehen, aber es regnet und zum Sport sollten Sie auch dringend. Yoga? Das ist nichts für Sie. Meditation? Das funktioniert bei Ihnen nicht. Sie leiden manchmal unter Herzrasen oder Schlafproblemen, haben hin und wieder negative Emotionen wie Angst und Abgeschlagenheit – und diese nervige innere Unruhe. 

Die gute Nachricht: Sie sind nicht alleine. Die schlechte Nachricht: Es gibt keine Pille dagegen, zumindest keine ohne Nebenwirkungen. Aber es gibt einige Übungen aus dem Yoga, die tatsächlich helfen. Vorausgesetzt, Sie lesen diesen Artikel nicht nur, sondern machen die Übungen auch. Es gibt sogar noch weitere Impulse aus dem Yoga, die dem dauergestressten und leistungsorientierten Menschen helfen können. Entgegen der herkömmlichen Meinung ist Yoga nämlich eine geistige Weisheitslehre, die – richtig verstanden – viel Inspiration für das tägliche Leben bietet. Körperübungen oder Fitness spielen eine untergeordnete Rolle. Sie kamen erst im Zuge der modernen Weiterentwicklung des Yoga auf den Übungsplan. Um was es eigentlich geht, ist die innere Ruhe, die es dem Menschen ermöglicht etwas Größeres zu erkennen: die innere Wahrheit, das volle Potential, die wahre Natur, die reine Freude. Sie dürfen das gerne „göttlich“ nennen, müssen Sie aber nicht. Yoga bedarf keiner Religionszugehörigkeit und ist keine Religion. Genauso wenig wie Gymnastik oder Kunstturnen. 

Innere Ruhe ist die Fähigkeit nach Innen zu gehen. Innen ist überall dort, wo der Kopf nicht ist. Da wir allerdings meistens mit Denken beschäftigt sind, kennen wir dieses Innen nicht besonders gut. Doch unser Denkorgan dürfen wir nicht verantwortlich machen. Es ist seine Aufgabe zu denken. Es kann hervorragend analysieren und urteilen. Es liebt Kategorien wie „richtig“ und „falsch“, „gut“ und „schlecht“. Aber es kann nicht fühlen. Nun besteht kein Zweifel, dass wir fühlende Wesen sind. Also lautet der erste Schritt, wenn Sie sich nach innerer Ruhe sehnen: Fühlen Sie Ihre Unruhe. 

Die Seele spricht leise

Das kann weh tun. Und es kann Ihnen leider kein Arzt oder Therapeut abnehmen. Der Schlüssel ist Akzeptanz. Gefühle sind neutral, sie wollen nur eins: gefühlt werden. In der Yoga Lehre sowie in allen Therapieansätzen geht man davon aus, dass negative Emotionen, die meistens mit körperlichen Empfindungen wie zum Beispiel Enge oder Spannung daherkommen, Ihnen etwas mitteilen möchten. Die Seele spricht leise, daher nutzt sie den Körper. Wenn wir also häufig unruhig, nervös oder angespannt sind, so sollten wir uns im Sinne der Selbstverantwortung fragen: Was könnte das mit mir zu tun haben? Natürlich ist es einfacher, die übliche Story des Verstandes zu glauben und den Chef, den Partner oder die Gesamtsituation verantwortlich zu machen. Zielführend ist es allerdings nicht.  

Kommen wir zur tröstenden Weisheit der Yogalehre: Sie dürfen darauf vertrauen, dass Ruhe in Ihrem Inneren ist. Das ist so ähnlich wie bei einem Zyklon. In seinem Auge ist es ruhig. Drum herum dreht sich alles, es verändert sich ständig. Emotionen und Gedanken tun das auch, sie sind nicht statisch, im Gegenteil, sie kommen und gehen. Innere Ruhe ist etwas, das jeder Mensch hat. Und sie ist beständig im innersten Kern unseres Wesens. Wir haben das nur vergessen. Wir haben unserem Körper abgewöhnt, Entspannung zu finden. Wir glauben alles, was unser Kopf sagt. So haben wir uns von unserer natürlichen Fähigkeit abgeschnitten, ruhig zu sein. Überhaupt einfach mal nur zu sein, ohne etwas zu machen. 

 Phasen der Regeneration und des Nichtstuns werden in unserer Gesellschaft nicht selten als Faulheit gebrandmarkt und wegrationalisiert. Es scheint einfach nicht in unsere Gewohnheiten zu passen, Pausen zu machen. Daher braucht es ein bisschen Mut und Geduld.  Doch denken Sie daran: „Wenn man die Ruhe nicht in sich selbst findet, ist es vergeblich, sie anderswo zu suchen.“ (Francois la Rochefoucauld)

Es liegt an uns, den Blick von außen nach innen zu richten und wieder zu lernen, wie wir Verbindung mit diesem inneren ruhigen Wesenskern herstellen können. Das ist übrigens die Bedeutung des Wortes Yoga: „Verbindung“. Mit jedem Praktizieren lernen Sie, etwas mehr zu fühlen statt zu denken sowie tief und langsam zu atmen statt oberflächlich und flach. Wenn das nächste Mal die innere Unruhe an Ihnen nagt, wie wäre es, wenn Sie Herrn Descartes freundlich aber bestimmt widersprechen? „Ich fühle, also bin ich“. Es gilt: Je entspannter der Grundzustand, desto leichter fällt es, auch das Negative zu fühlen. Daher sind Entspannungsübungen die wichtigsten. Auf die Nacht folgt der Tag. Auf Regen folgt Sonne. Auf Anspannung folgt? Richtig, Entspannung. 


Übung 1: Die Umkehrstellung „Viparita-Karani“ (bis zu 10 Minuten) 

LOV_1297.jpg

Entspannung will gelernt sind. Fangen Sie mit dieser Übung an. Sie verlängert das Ausatmen, entlastet das Herz und den Blutkreislauf und beruhigt das Nervensystem. 

Strecken Sie Ihre Beine Richtung Decke, angelehnt an eine Wand oder Türe. Becken und unterer Rücken können auf einem Kissen ruhen. Schulterblätter und Kopf liegen flach auf dem Boden, in einer geraden Linie ausgerichtet, eventuell gepolstert. Lassen Sie Ihren Atem ganz entspannt kommen und gehen. Bei jedem Ausatmen tauchen Sie tiefer nach Innen. (Nicht anwenden bei Bluthochdruck, Thrombose oder Bandenscheibenvorfällen in der Halswirbelsäule) 

 

Übung 2: Das Kind „Balasana“ (bis zu 5 Minuten) 

LOV_1393.jpg

 Bei negativen Gefühlen oder „Kopflastigkeit“ hilft diese Übung. Sie wirkt beruhigend auf Körper und Geist und stellt mentales sowie emotionales Gleichgewicht wieder her. Die Bauchorgane werden massiert, der Rücken wird sanft gedehnt, Nackenmuskeln entspannen sich. Super bei chronischen Rückenschmerzen. 

Legen Sie Ihren Oberkörper auf oder zwischen den Beinen ab. Lassen Sie Ihre Schultern und Ihr Becken schwer nach unten sinken. Legen Sie ggf. ein Kissen unter der Stirn, Sie sollten den Kopf ablegen können. Sie können auch Kissen oder Decken zwischen die Beine legen, damit Ihr Oberkörper oder Ihr Gesäß darauf abgelegt werden können. Bei Schmerzen in den Füßen, polstern sie auch diese. Atem Sie ruhig und großzügig ein und lassen Sie die Ausatmung in Ihr Becken fließen.

 

Übung 3: Tiefenentspannung „Shavasana“ (bis zu 15 Minuten) 

Körper und Nervensystem erfahren eine tiefe Erholung. Übersetzt heißt diese Übung die „Totenstellung“. Ihr Körper schläft, doch Ihr Geist bleibt wach und blickt nach innen. Shavasana reduziert Müdigkeit, hilft bei Stress und kann meditativen Zustand erzeugen. 

 Sie liegen entspannt auf einer Unterlage, lassen Ihren Körper schwer Richtung Boden sinken und halten ihn möglichst bewegungslos. Polstern Sie ggf. Ihren Kopf, damit die Halswirbelsäule nicht überstreckt. Legen Sie eine Decke unter die Knie, falls Sie Rückenprobleme haben. Decken Sie sich zu, damit Sie nicht kalt kriegen. Machen Sie es sich richtig bequem und stimmen Sie sich auf das Nichtstun ein. Zu Beginn können Sie Ihren Atem beobachten und sich innerlich sagen: Ich bin ganz ruhig. 

LOV_1325.jpg









Sinah Müller