Geteilte Impulse: Yoga auf Bali während der Corona Krise - von Gudrun André
Gudrun André ist im Februar 2020 zu einer mehrwöchigen Reise nach Bali aufgebrochen, wo sie in einem zauberhaften Resort Yoga unterrichten sollte. Doch dann kam Corona. Hier erzählt sie, wie die Krise die bei Yogis so beliebte Insel getroffen hat und von ihren Erfahrungen des Ankommens, Aufbrechens und Heimkommens.
Alles auf Anfang – ganz einfach? Von wegen!
Wie anders alles sein kann, wenn man das Gleiche tut wie zuhause – nur an einem anderen Platz. YOGA unterrichten auf BALI.
Ich kenne meine Schüler nicht und meine Schüler kennen ihren Lehrer nicht. Keiner hat den anderen ausgesucht und die Gäste des Hotels wechseln in der Regel alle 3 – 5 Tage. Kein vertrauter Yogaschüler, keine Weiterempfehlung meiner Yogastunden. Schon ist man Mitten im Yoga angekommen – offen sein – sich einlassen können – Vertrauen haben - schauen was passiert. Für beide Seiten.
Aber von vorne
Das Glück ist mir gewogen und so kann ich meine Passion mit meinem Urlaub verbinden. Yoga unterrichten an einem Traumplatz – bei Freunden im Hotel SIDDHARTHA Ocean Front Resort and Spa auf Bali. Klingt traumhaft? Ist es auch.
Ein grandioser Platz, direkt am Meer gelegen in einem tropischen Garten, am Fuß des heiligsten Berg Balis – dem Vulkan Mount Agung.
Ankommen im Siddhartha
Inspiration zur Namensgebung des Hotels durch seine Gründer war die weltberühmte gleichnamige indische Dichtung von Hermann Hesse „Siddhartha“. Die Geschichte der Selbstbefreiung eines jungen Menschen aus familiärer und gesellschaftlicher Fremd-bestimmung zu einem selbständigen Leben. Es sagt im Grunde aus, dass Erkenntnis nicht aus Lehren zu vermitteln ist, sondern nur durch eigene Erfahrung erworben werden kann. Kommt das uns yogabegeisterten Menschen nicht bekannt vor?
Der Name des Hotels hält, was er verspricht und ist Programm. Inmitten einer tropischen Gartenanlage begleiten den Gast auf all seinen Wegen zahlreiche Buddha-Statuen, Götter und Göttinnen der indischen Mythologie. Sie wirken auf mich wie die stetige Erinnerung – hier darf JEDER ankommen, an diesem Platz und bei SICH SELBST - Ruhe finden – Klarheit finden – oder ganz einfach Erholung im Urlaub.
Dieser Platz erspart seinen Gästen jedwede Form der Animation, beschenkt seine Urlauber mit einem Infinity-Pool ohne Musikbeschallung und die meisten Bungalows haben weder Fernseher noch Radio. Es vermisst hier auch niemand.
Symbolische Wege
Mein Weg zum Yogaplatz ist schon der Beginn der Anfangsentspannung einer jeden Yogastunde. Er führt mich durch diesen tropischen Garten, vorbei an Mangobäumen, Palmen, blühenden Bäumen und Sträuchern. Es gibt hier keine geraden Wege – aus gutem Grund. Die Balinesen glauben, dass geschwungene Wege die bösen Geister verwirren, so dass sie nicht den Eingang zu ihren Häusern finden.
So ganz nebenbei sammele ich auf dem Weg zum Yogaplatz Blütenblätter in den schönsten Farben, mit denen ich ein kleines Mandala vor meiner Yogamatte lege.
Erste Begegnung
Und doch stellt sich vor meinen ersten Yogastunden eine ungewohnte Aufregung bei mir ein. Wieso das denn? Es wird mir klar, dass ich im Unklaren bin. Wie bereite ich meine Yogastunden eigentlich vor? Welche Gäste werden kommen? Mit welchen Erwartungen bzw. mit welchen Wünschen? Welchen Yogastil soll ich anbieten, auf welchem Level, in welcher Sprache? Ein ungewohntes Gefühl, das ich so vor meinen Yogastunden nicht kenne. So viele Fragen und Ungewissheiten. Was soll das für eine Yogastunde werden?
So muss ich erst einmal für Klarheit in meinem Kopf sorgen. ALLES AUF ANFANG. Um was geht es hier eigentlich? Was suchen Menschen in ihren wertvollen Urlaubstagen – an einem solchen Platz?
Entschleunigung, Zeit haben, Ruhe finden, zu SICH finden, neue Kraft und Energie schöpfen – Erholung finden, sind nur einige der vielen „ Zauberwörter“, die wir alle kennen und uns doch immer wieder –auch im Urlaub- daran erinnern müssen.
Schwieriger als gedacht, entscheide ich mich für „EHER WENIGER ALS MEHR“ – einfach muss es sein, simpel, klein Flow, kein Vinyasa, schon gar keine fordernden Asanas. Meine Gäste sollen RAUS aus dem Kopf und REIN in den Körper finden. Sich wieder spüren, erleben, erfahren können.
Genau diese Erfahrungen möchte ich den Teilnehmern meiner Yogastunden ermöglichen, auch wenn nicht alle unbedingt mit dieser Erwartung kommen werden. Ob es klappen wird? Ich bin sehr gespannt.
Schnell wird deutlich, für viele ist es keine leichte Übung, zur Ruhe zu kommen, zu entspannen, auch wenn sie es sich wünschen. Zu sehr sind sie seit Jahren stündlich getaktet in ihrem Arbeitsalltag, viele auch in der Freizeit. Wie stark doch dieser jahrelang „geübte“ Lebensrhythmus seine Spuren in ihrem Geist und ihrem Körper hinterlassen hat, bemerken viele erst, wenn sie auf der Yogamatte sitzen. Manchmal muss ich schmunzeln, wenn es einfach nicht gelingen will, wirklich ruhig zu liegen, loszulassen und zu entspannen.
Magie eines Ortes
Einen starken Verbündeten hatte ich bisher noch gar nicht so richtig in mein Kalkül mit einbezogen – das Gesamtpaket dieses Yogaplatzes.
Nach allen Seiten offen, lediglich ein Holzdach schützt von Sonne und Regen, bietet dieser Platz ein optisches Potpourri aus einen purpurblauen Meeresspiegel, der sich am Horizont mit dem hellblauen Himmel verbindet, einem tropischem Palmengarten in allen erdenklichen Grüntönen mit üppig blühenden Sträuchern und Blumenranken, ein akustisches Spektakel aus einer mitunter tosenden Meeresbrandung, die in ruhigeren Momenten durch das Vogelgezwitscher der Bülbüls und anderer tropischer Vögel melodisch unterstützt wird. An völlig ruhigen Tagen dringt sanft und beruhigend das Plätschern des Pools bis auf unsere Yogamatten.
B.K.S. Iyengar wusste sehr genau, warum er seinen Schülern diesen Ratschlag mit auf den Weg gab: „Man kann den Wert von Yoga nicht beschreiben, man muss ihn erfahren“. Mit diesem Yogaplatz ist es ähnlich. All unsere Sinne werden an diesem Platz auf wundersame Weise berührt und genährt, niemand kann und möchte sich diesem Zauber entziehen. Die Yogastunden führen meine Yogaschüler in sehr stille achtsame Stunden, die viel Zeit zum bewussten Atmen, Spüren und Wahrnehmen schenken - für manchen eine unerwartete wie beglückende Neu-Entdeckung.
Ich freue mich sehr über die ersten freudig-positiven Rückmeldungen meiner Yoga-Gäste. DANKBAR und glücklich darf ich von ihnen erfahren, auf welche Weise meine Yogastunden ihnen zu neuen Erfahrungen mit sich und ihrem Körper verholfen haben. „Ich wusste gar nicht, dass ich so steif war“ oder „nach einer Woche fühle ich mich körperlich und mental viel besser“ waren beispielsweise ihre Kommentare. Oder „ Ich hätte nicht gedacht, dass ich mich schon nach ein paar Yogastunden so viel kraftvoller und beweglicher fühlen würde.“ Und, was mich besonders freute, viele wollen ihre Yogapraxis zuhause fortsetzen. Ich drücke allen die Daumen!
Wie positiv und wohltuend eine regelmäßige Yogapraxis in guten Zeiten wirkt, wissen viele von uns. Schafft eine regelmäßige Yogapraxis auch den Bewährungstest in Krisensituationen?
Auszug der Dämonen
Ob die Himmelsdrachen vor der Küste Balis die Vorboten des drohenden Unheils waren? Leider hat während meiner Zeit auf Bali auch die Corona Krise die Insel erreicht. Klar sichtbar wurden nicht nur die Ängste und Sorgen der Gäste, sondern natürlich auch die existenziell bedrohliche Situation der balinesischen Mitarbeiter des Hotels und natürlich aller Balinesen. Der Tourismus ist die Haupteinnahmequelle der Insel.
Und JA, gerade in schwierigen, unkalkulierbaren Situationen, die in allen von uns erst einmal große Ängste hervorrufen, ist eine regelmäßige Yogapraxis von unschätzbarem Wert. Yoga und Meditation sind wertvolle Techniken, um Ruhe zu finden und zu bewahren.
Erfahrbar wird der „Lohn“ einer regelmäßigen Yogapraxis, sich immer wieder im Vertrauen und in Ruhe nach innen zu wenden, zu dem Platz in dir, der dich alles bewältigen lasst. Damit verbunden die Möglichkeit, bei all den Aufregungen im Außen klar und zentriert bei sich zu bleiben, hoffnungsvoll und zuversichtlich. Sich nicht überfluten zu lassen durch ein Übermaß an besorgniserregenden Nachrichten und schon gar nicht in diesen (Informations-) Fluten unter zu gehen. Yoga hat auch in der Qualität geholfen, Ängste zu thematisieren. All diese Sorgen wurden Thema und Bestandteil der Yogastunden. Eine wichtige Erfahrung für die Schüler und mich selbst.
Mein Rückflug wurde über Nacht storniert. Überstürzt und 2,5 Wochen vor dem geplanten Ende meines Aufenthaltes, reise ich von einem auf den anderen Tag ab, verlasse das Hotel mit den letzten Gästen. Das Siddhartha wird hinter uns geschlossen. Mit neu erstandenem Flugticket bringt mich eine andere Fluggesellschaft zurück nach Frankfurt. Es sollte deren letzter Flug nach Deutschland sein.
Ich denke noch immer in Sorge an die Menschen auf Bali zurück. Die sozialen Segnungen Deutschlands wie intakte Krankenhäuser, Gesundheitsvorsorge, Arbeitslosenversicherung Kurzarbeitergeld sind für viele Balinesen nicht vorhanden. Und so drängen die ohnehin schon vorhandenen Probleme einer Insel, die durch den aufblühenden Tourismus viel gewonnen hat, aber auch viel opfern musste, mit Macht an die Oberfläche. Ganz Bali lebt vom Tourismus. Alle Touristen haben die Insel verlassen. Völlig unklar, wann und wie es weitergehen wird.
Bali hat eine Zukunft
Balinesen sind tief verwurzelt in ihrer Religion, ihren Ritualen. Sie leben meist in großen Familienverbänden zusammen, helfen sich gegenseitig, sind füreinander da. Viel mehr als wir Deutsche sind sie gewohnt, mit der Natur und deren Unbillen zu leben. Vulkanausbrüche, Erdbeben, große Dürren haben sie bereits (mehrmals) überstanden. Sie sind gewohnt, ihr Leben, ihr Schicksal, ihr KARMA so anzunehmen, wie es ist und kommt. Viel mehr als wir leben sie in ihrem HIER und JETZT. Corona werden sie ebenfalls überstehen!
So wie viele Yogastunden mit einem Glücks- und Segensmantra enden, möchte ich auch diese Zeilen mit meinem Lieblingsmantra enden lassen:
Lokah Samastah Sukhino Bhavantu – mögen alle Wesen Glück und Harmonie erfahren.